sicht-wechsel

Dienstag, 30. September 2014

Tag und Nacht

Wer wirbt mit dem Slogan: Wir sind Tag und Nacht für Sie da?

Genau. Der Bestatter. Denn gestorben wird immer. Und da auch Tote keine Zeit haben, braucht man eine zügige Abwicklung. Tag und Nacht.

Und? Auch richtig: Der Schlüsseldienst. Der ist Tag und noch lieber nachts für Sie da. Denn nachts, da kann er richtig abkassieren.

Richtig wäre auch: Rettungsdienst. Obwohl die wegen "nachts" durchaus meckern. Soll schon vorgekommen sein, dass jemand meinte, durch das Engagieren des Rettungsdienstes die Taxikosten zum Krankenhaus sparen zu können. Außerdem die Rohrreinigungsfirma und alles, worauf man nicht so gerne länger warten möchte.

Zu dieser illustren Truppe gesellt sich, seit letzten Freitag hochamtlich, auch die Mutter Kirche. "Tag und Nacht für Sie da" ist, zumindest nach Kardinal Marx, das neue Erkennungszeichen einer Kirche, die sich, wenn mich nicht alles täuscht, als Service-Institut profilieren soll. Wie das genau geschehen soll, hat er allerdings nicht gesagt. Nachtdienst im Pfarrbüro? Analog zum Krankenhaus eine Nachtsekretärin? Oder soll der Pfarrer höchstpersönlich Tag und Nacht ans Telefon gehen? Die besten rufen Samstagmorgen um 8 Uhr an, weil sie wissen möchten, wann die Vorabendmesse ist. Und wer mal so ein richtiges Brautpaar erlebt hat, nebst Weddingmanager und allem drum und dran und RTL und Traumhochzeit geprägt, der kommt, wenn er so richtig spurt, aus dem Kirchenservice gar nicht mehr raus.

Nun will ich ja durchaus nicht verschweigen, dass manche Kollegen sich rar machen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Manche müssen wirklich die Notbremse ziehen, sonst ziehen sie andere wegen Burn-Out aus dem Verkehr. Andere haben das Arbeiten nicht unbedingt erfunden. Aber diese zu motivieren geht sicherlich nicht mit forschen Parolen. Da wären ein paar mutige Überlegungen, wie es mit der kirchlichen Struktur weitergeht, vielleicht weiterführender. Wenn das Gefühl bleibt, man möchte doch möglichst alles beim alten lassen, ist das nicht unbedingt aktivierend. Und andere haben einfach resigniert, warum auch immer. Auf jeden Fall möge man Mark Twain nicht vergessen: Als sie das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen.

Ich wüsste einen anderen Slogan, der ist zwar nicht unbedingt werbewirksam, aber wäre im Blick auf die kirchenpolitische Großwetterlage nicht der schlechteste:

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist: Gerecht sein. Barmherzig und verlässlich sein. Demütig sein vor Gott.

 

Dienstag, 16. September 2014

Man sieht Ihnen Ihr Alter gar nicht an

"Die christliche Kirche scheint am Ende zu sein. Viele Gründe sprechen dafür. Die Zahl der Kirchenaustritte wächst. Die Geistlichkeit hat Nachwuchssorgen. Aus den eigenen Reihen häufen sich die Angriffe gegen die Kirche. Was wirft man ihr vor? Starr beharre sie auf ihren Privilegien und ihrer Macht; ihre Glaubenssätze seien überholt - andererseits: Sie passe sich zu sehr den Zeitströmungen an...."

Lange habe ich gebraucht, bis ich herausgefunden habe, aus welchem Jahr der Text ist, der einen Aufsatz des evangelischen Theologen Thielicke einleitet. 1976. Das sind bis heute 38 Jahre. Aber: "Man sieht Ihnen Ihr Alter gar nicht an."

Immerhin: Das Ende ist noch nicht eingetreten. Zwischen 1976 und 2014 ist viel passiert.

Viele Autoren haben viel, sehr viel Geld verdient, in dem sie die sogenannte Kirchenkrise analysiert, seziert, erörtert, beleuchtet, erklärt, verortet, sich ihr gestellt und vor allem differenziert haben (Differenzieren ist besonders gut, das wirkt gebildet und am Ende kommt dabei ein ganz anderes Problem heraus).

Bischöfe haben mutig, wild entschlossen und traurig zugleich das Ende der Volkskirche verkündet. Immerhin: Alle Pfarreien haben noch einen Pfarrer (tja, wer hätte das gedacht).

Im Borromaeum in Münster, dem Priesterseminar, werden inzwischen junge und nicht mehr so junge Männer aus halb Deutschland intensivst und mit hohem Betreuungsaufwand auf den Priesterberuf vorbereitet. Dennoch wirkt das Gebäude eigenartig leer. Vermutlich haben wir an der gleichen Stelle in zehn Jahren ein halb europäisches Seminar.

Ansonsten machen wir weiter wie bisher: Taufen Kinder von Eltern, die lange kein Kreuzzeichen mehr gemacht haben, schreiben brav die Kinder der 3. Klasse an, damit sie ein halbes Jahr später oft mit großen Aufwand ihre Erstkommunion feiern können, trauen, wen und wer auch immer sich anmeldet (vorausgesetzt: kirchenrechtlich gehts noch), halten es für erfreulich, wenn 50 % eines Jahrgangs sich firmen lässt - die Liste kann beliebig fortgesetzt werden. Leuten, die austreten, schreiben wir inzwischen einen längeren Brief und sind erstaunt, dass sie kaum reagieren, obwohl wir kaum mit einer Reaktion gerechnet haben.

Und wenn sie nicht gestorben sind ....



Dienstag, 2. September 2014

Kinder

Eine ganze Seite widmet die Süddeutsche heute dem kinderfeindlichen Berlin. Lärmschutzmauern, die zwischen Skater-Plätzen und Edelresidenzen gebaut werden, Schilder, die vor einem Café verkünden, dass Kinderwagen nebst Inhalt und Schiebekraft nicht gern gesehen werden, Proteste gegen den Bau von Kitas, Hotelbesitzer, die dagegen klagen, dass eine Schulklasse sich in ihrer gediegenen Unterkunft drei Tage vergnügt,  und derlei Untaten mehr.

Rückblick: Zu meiner Studentenzeit bat in der Petrikirche der stark genervte Pfarrer die lieben Eltern während der Predigt, sie mögen doch ein wenig darauf achten, dass ihr geschätzter Nachwuchs den Mittel- und Seitengang der Kirche nicht mit dem Nürburgring verwechselt, weil sie dort mit den mitgebrachten Autos scharfe Rennen fuhren, und gegen ihr brrrrrrrrruuuuummmmm waren die wohlgesetzten Worte des Predigers machtlos.

Das ist alles eigenartig. Das Wunschkind, geplant gezeugt, wird gemanagt, umhegt, umsorgt, Mama kämpft mit allen Mitteln dagegen, dass in der sorgsam ausgewählten Kita ja kein Erzieher (männlich) ihrem Nachwuchs die Windeln wechselt (er könnte ja, naja, man kann ja nie wissen - auch darüber berichtete die Süddeutsche ausführlich), selbst eindeutige Ungezogenheiten werden von Oma und Opa mit einem "ach ist der süß der kleine" belohnt, später droht Mama dem Lehrkörper mit dem Rechtsanwalt, weitere Aufzählungen überflüssig, weil völlig unappetitlich und gleichzeitig völlig realistisch.
Und der Hotelbesitzer (übrigens ein Vier-Sterne-Hotel), der die unterkunftssuchende Klasse 11 per Gerichtsbeschluss draußen vor der Tür halten will? Die gute Bude ist doch gerade erst vor zwei Jahren renoviert worden.

Ja, wir haben in manchen Kreisen eine massive Kinderfeindlichkeit. Das ist nichts schönzureden oder zu entschuldigen. Wir haben aber auch Kinder und Jugendliche, die außerordentlich apart oder gar nicht erzogen sind, was auf das Gleiche hinausläuft.

Eigentlich hat es das schon immer gegeben. Aber die meckernde Mieterin, deren und deren Pudel Mittagsschlaf gestört wurde, war die Ausnahme. Ebenso das verzogene Kind, für das Mama sich bis zum Direktor vorkämpfte, weil das zarte Wesen nicht behutsam genug (und natürlich völlig zu Unrecht) ermahnt worden war: All die gab es, aber eher selten. Und man lachte über sie.

Heute scheinen Ausnahmen die Regel zu werden.


Das folgende mag man jetzt getrost in den falschen Hals bekommen: Zu den regelmäßigen Gottesdienstbesucher/innen gehört eine Familie, deren fünftes Kind ich gerade getauft habe. Nummer eins ist einer der zuverlässigsten Messdiener (allerdings mit einer gehörigen Portion Frechheit), Nummer zwei schalkhaft fromm (eigenartige Mischung mit hoffungsvoller Prognose), Nummer drei kommt gerne mit seinem Dinosaurier in die Kirche und spielt stillvergnügt. Für den Fall, dass er nur noch vergnügt ist, gibt es einen präzise liebevoll-strengen Blick der Mutter. Das scheint zu genügen. Nummer vier und fünf sind noch eindeutig in der präekklesialen Phase. Vielleicht haben diese Kinder den großen Vorteil, dass sie nicht, einsam und allein, der Liebe ihrer Eltern und vier Großeltern ausgesetzt waren. Übrigens ist Papa kein Krösus. Sie kommen halt über die Runden. Nicht mehr und nicht weniger. Auch das scheint für Kinder optimal zu sein.

Manchmal geht's eben doch.