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Dienstag, 25. Oktober 2011

Kopfkino mit Borgia

Eine wie soll es auch sonst sein unangenehme Erkältung legte mir nahe, gestern Abend den Pfarrgemeinderat von meinen Bazillen und ähnlichen zu verschonen und mir einen ruhigen Abend mit zwei Paracetamol, einem warmen Bett und… zu genehmigen. Und? Klar, ein Teil der deutschen Nation erfreut sich fernseherisch an Sex, Crime and Vatican, Borgia in sechs Teilen, zu viel Sex and Crime, um historisch plausibel zu sein, aber dennoch bleibt mehr als genug, um frommen Katholiken die Schamesröte ins Gesicht zu treiben.
Statt des Fernsehens allerdings bevorzugte ich Kopfkino mit der historisch wesentlich sorgfältigeren Darstellung "Kulturgeschichte der Menschheit Bd. 8" von Durant, welche überraschende Einsichten bescherte: Dass es vor allem katholische Forscher sind, die Alexander VI. überaus schlecht zeichnen (Hubert Jedin: „Der absolute Tiefpunkt des Papsttums“). Dass protestantische wesentlich milder urteilen. Dass seine Privatbriefe, selbst an Guila Farnese, die Schönheit schlechthin, mit religiösen Wendungen durchzogen sind. Dass er Satire und Kritik, worin die Römer immer stark waren, ausgesprochen gelassen hinnahm. Dass seine Tafel so wenig üppig bestellt war, dass die Kardinäle sie nach Möglichkeit mieden.

Am Schönsten aber ist die Zusammenfassung von Durant: „Alle jene unter uns, die gleich Alexander für den Zauber weiblicher Reize nicht unempfindlich sind, bringen es nicht übers Herz, ihn seiner Schwäche wegen zu steinigen. Seine Abirrungen vom geraden Weg waren nicht skandalöser als die von Enea Silvio Piccolomini, der bei den Historikern so gut angeschrieben ist, oder von Julius II., dem die Nachwelt gnädig verziehen hat. Man weiß nichts davon, dass diese beiden Päpste so liebevoll für ihre Mätressen und Kinder sorgten, wie dies Alexander tat… Er wäre ein ehrenwerter Mann gewesen, wenn nur die Gesetze der Kirche die Priesterehe – wie sie … das Italien der Renaissance wenigstens in der Praxis kannte – zugelassen hätten. Er sündigte nicht gegen die Natur, sondern gegen ein Gebot der Ehelosigkeit, das bald einmal von der Hälfte der Christenheit verworfen werden sollte.“

Die Römer jedenfalls haben ihm DAS jedenfalls nicht übel genommen. Viel spannender fanden sie, wie er Guila so lange bei Laune halten konnte… 

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