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Montag, 17. Oktober 2011

Von genusssüchtigen Päpsten und frommen Kirchenwächtern

Jeder Rombesucher, sollte er kein völlig barbarischer Ignorant sein, steht ergriffen vor den Madonnenbildern eines Raffael, schaut andächtig in der Sixtinischen Kapelle zu den Gemälden von Michelangelo hinauf, staunt über die Peterskirche, erfreut sich an zahllosen Brunnen, wandelt kulturfasziniert durch Kirchen, und, wenn er einen guten Reiseführer hat (schriftlich oder mündlich), werden ihm auch die Dimensionen der Frömmigkeit erschlossen, die aus all diesen Werken aufstrahlt.

Umso unangenehmer – für einen braven Katholiken, eine brave Katholikin – ist es, wenn er oder sie ab heute Abend (17.10) zur besten Sendezeit mit den Gräueltaten und Ausschweifungen von Borgia und Konsorten konfrontiert wird, Sex and Crime hoch zehn in allen Schattierungen und Spiel- und Abarten, die jeden kultivierten Abendländer erzittern und erschaudern lassen. Doch genau das ist der zeitgeschichtliche Hintergrund fürs fromme Staunen und Wundern. Leider ist das eine ohne das andere nicht zu haben.

Alles nur Produkte der Phantasie des Drehbuchautors, versuchen die Kirchenoberen ihre Schäfchen zu beruhigen, alles übertrieben, alles Wühlen im alten Dreckschlamm. Was leider nicht so ganz richtig ist. Selbst wenn man die Hälfte von dem streicht, was man da präsentiert bekommt, kann man mehr als nur das Gesicht verziehen.

Was für Zeiten, mag man denken, nicht wissend, ob man sich eher ekeln oder wundern soll. Was für Zeiten heute, mag man vielleicht aber auch denken, wo schon allein das Nachdenken über den Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen, die Rolle von Frauen in der Kirche, Kondome in Afrika und die Akzeptanz von Homosexuellen in den Augen der schmallippigen und süßsauerblickenden Kirchenwächter und –Kirchenwächterinnen zu einem hundertprozentigen Untergang des römisch-katholischen Glaubens führen wird. 

Lernt aus der Geschichte: Es war kein Alexander VI., kein Sixuts IV., kein Leo X. („Da Gott Uns das Pontifikat verliehen hat, so lasst es Uns denn genießen“), die der Kirche den Untergang bereiteten. Die allerreinste Lehre allerdings (wobei das immer auch eine Frage der theologischen Perspektive ist, was denn nun wirklich allerreinste Lehre ist und was nicht), mag zwar klinisch frei sein von bösen Bazillen und Viren, aber ob sie jemanden wirklich religiös erfreut und das Herz erwärmt, das ist alles andere als erwiesen.

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