sicht-wechsel

Dienstag, 16. August 2011

Von einer kleinen Spitze eines kleinen Eisbergs, publikumswirksam plaziert


Man mag darüber denken wir man möchte: Ein knapp 40jähriger Mann, der mit einer 16Jährigen eine Beziehung pflegt, von Liebe spricht und dabei zum Taschentuch greift. „Nichts ist vielfältiger als Liebe“ sagte schon Werner Bergengrün- einerseits – und andererseits gehört Liebe zu den inflationär gebrauchten Begriffen. Ganz am Rande bemerkt sollte nicht vergessen werden, dass der Überarbeitung des Jugendsexualstafrechts auch die Überlegung zugrunde lag, die sexuelle Selbstbestimmung der Jugendlichen zu stärken. Auch darüber mag man zu Recht unterschiedlicher Meinung sein, und auch darüber, wer wann wem und wie auf diesem Gebiet Nachhilfe geben muss und geben darf. Aber das nur als Vorspann.

Tausendmal spannender als das, was da passiert geschehen ist, ist, mit welcher aufgedrehten und verlogenen Bigotterie sich die Medien die Mäuler darüber zerreißen; wie sie alle Hebel in Bewegung setzen, um noch so private Details aus dem Leben eines unverheirateten 40jährigen Mannes an die Öffentlichkeit zerren. Die Phantasien sind offenbar genauso vielfältig wie das Privatleben der forschenden Journalisten (manche gefüttert von sogenannten Parteifreunden). Diese, marktgesteuert, schreiben auch nur das, was Anton und Emma und Yvonne und Kevin nebst derzeitigem Lebensgefährten oder derzeitiger Lebensgefährtin gerne lesen, möglichst nicht zu viel, denn Lesen ist dem fernsehgeschulten Auge ohnehin eine Zumutung. Da feiert dann die bigotte Doppelwelt fröhliche Urständ: Einerseits ziehen sie sich nachmittags mitsamt ihren Kindern die schrägsten Talkshows rein, wo Amateurschauspieler abartige Phantasien bedienen, abends sitzen Papa und wohl auch Mama am Computer und vergnügen sich an allen möglichen und unmöglichen Seiten (deren Adressen der brave Nachwuchs im Browserverlauf vergessen hat zu löschen), und andererseits empören sie sich mit aller verfügbaren Inbrunst über Schmuddeligkeiten von Politikern und Co.
Kinderschänder gehören schon bei der kleinsten Vermutung zumindest umgebracht, am besten zentimeterweise. Politiker sind automatisch moralische Ferkel und Selbstbediener (klar, dass man über eine masochistische Ader verfügen muss, um dieser Tätigkeit noch nachzugehen). Dafür geht Papa hin und wieder in die halböffentliche Vollzugsbox zu Rumäninnen, die für ihren Zuhälter für 5 € pro Stunde arbeiten. Abtreibung ist schon seit Jahren kein Thema mehr, und wer sich darüber aufregt, wohnt weit hinter dem Mond. Ganz zu schweigen von „Eine-Welt-Themen“ einschließlich millionenfach verhungernder Kinder, die bei keinem mehr auch nur für den Anflug einer moralischen Entrüstung sorgen. Das, was das schöne Wort Verhältnismäßigkeit bezeichnet, ist inzwischen nicht einmal mehr ein Fremdwort. Der Herr von Boetticher ist wenn überhaupt nur eine kleine Spitze eines kleinen Eisbergs. Die großen übersieht man lieber. Denn die könnten Arbeit machen. Wünschen wir dem nächsten Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, dass er ein dickeres Fell hat oder besser kaschieren kann. Viel Vergnügen!

1 Kommentar:

  1. ...mir aus der Seele geschrieben. Die Waage zu halten zwischen einem "Liebes"Verhältnis zu Kindern oder zu "jungen Erwachsenen" ist bestimmt nicht leicht. Aber 16jährige Mädchen sind in der Regel keine Kinder mehr (manchmal sicherlich schade, aber früher war auch nicht alles besser;-) und 40jährige Politiker sind (meistens) keine Tattergreise. Aber Politiker durch die Mangel zu drehen ist bestimmt sehr medienwirksam und wenn der eine oder andere erstmal weg ist, kräht kein Hahn mehr danach.

    Wie im Post bereits beschrieben, lesen will keiner mehr, also müssen die Überschriften schon alles hergeben...

    Die "stille" Leserin

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