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Samstag, 28. Januar 2012

Der garantiert gottlose Tempel

Jede Seelsorgerin, jeder Seelsorger wird in seinem ereignisreichen Leben fast täglich darüber belehrt, dass ein guter (nein: ein wirklich guter) Christ auch Sonntagmorgens im Walde beten kann und dass dieses vermutlich ohnehin die angemessenere Art des Gottesdienstes sei. Selbstverständlich war ich dann auch jedes Mal hoch erfreut, an sonntäglichen Morgenden, an denen ich entweder nur sehr früh oder erst sehr spät im Tempel des Herrn präsent sein musste, zahlreiche fromme Menschen im Walde erblicken zu können, der eine andächtig vor einem Baum stehend, die nächste mit weit geöffneten Armen in einer Lichtung dem Schöpfer huldigend und wieder andere fromme Gebete murmelnd auf froher Wanderschaft, während ich nur schnöde fluchend und schwitzend mich durchs Gehölz quälte bzw. joggte.

Ja, es ist etwas dran. Der wirklich fromme Katholik betet im Wald. Die Metzger frönen überdurchschnittlich stark der Vegetarierei, und ebenso meiden überdurchschnittlich viele Urologen die immanente Hafenrundfahrt beim fingerkundigen Kollegen, der Öko-Bauer wird beobachtet, wie er beim Discounter Paletten von Eiern ordert, Matthias Matussek isst freitags Fleisch (was durchaus auch eine Buße sein mag), und so ließe sich die Liste schier endlos fortsetzen, bis sie heute endet bei: Alain de Botton. Philosoph. Engländer. Und vor allem: Atheist (so eine Art Onkel Schmidt-Salomon auf der Insel). Er wird im Herzen Londons einen Tempel für seine Glaubensbrüder und  - schwestern bauen lassen, für all diejenigen, die den Hohepriestern des Atheismus versichern, sie könnten auch in einem Tempel durch und durch gottlos sein. Antigottesdienst ist sonntags um 10 Uhr, im Oktober regelmäßiger Atheistensprechgesang, samstags 16 Uhr steht der Hohepriester bereit, die gelegentlichen Stoßgebete zu verzeihen, die auch einem Atheisten über die Lippen kommen sowie die in einer christlichen Kirche angezündeten Kerzen, weitere Kreationen werden folgen.

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